Musikalische Erfahrungen eines Lautsprechers
(Interview)
(Konzertbericht aus der Gemeindehalle von Samstag, 12.11.2022, Musikverein Walddorfhäslach)
Frage: Wir sind hier in der Gemeindehalle in Walddorfhäslach und ich führe ein Interview mit einem ganz besonderen Gesprächspartner. Bitte stellen Sie sich den Lesern vor und nennen Sie ihren Beruf.
Antwort: Ich bin für Sie eine Art Blackbox. Ich heiße Stentor von Marschall und habe eine feste Stelle hier in der Halle als Lautsprecher. Zusammen mit meinem Team, bestehend aus Mirko Mikro, Heidi Kabel und Toni Mischer, sorge ich in der Gemeindehalle Walddorfhäslach für den guten Ton. Und laut muss er sein.
Frage: Und was ist Ihr gewöhnlicher Tagesablauf?
Antwort: Oft ist mir langweilig, ich sage nur Corona; aber auch, weil die Leute in der Halle mich für Sport und andere Treffen meist gar nicht brauchen.
Frage: Sie gehören also noch nicht zum alten Eisen und bevorzugen ein aktiveres Dasein?
Antwort: Genau. Zum Beispiel am Samstag, den 12. November, flossen abends stundenlang Stromstöße durch meine Innereien und meine Membranen vibrierten intensiv. Ich sollte ein Konzert des örtlichen Musikvereins rüberbringen. Und zwischendurch wurde ich auch für Ansagen und Dankesreden missbraucht. Man darf nicht wählerisch sein.
Frage: Genau, es gab ja auch Ehrungen im Rahmen dieses Konzertes, was waren denn Ihre Gefühle währenddessen?
Antwort: Nun ja, für mich als altgedienten Gemeindehallenlautsprecher sind Ehrungen natürlich eher Hausmannskost. Aber für die geehrten und für deren Fans im Publikum ist es ein toller Moment mit Gänsehautpotenzial, vor allem, wenn es – wie am Samstag – um 150 Jahre aktives Ehrenamt geht: 40 Jahre bei der Dirigentin, 50 beim Ehrenvorstand Thomas Baisch und je 30 bei Miriam Fischer und Benjamin Koch.
Frage: Und was war das nun für ein Konzert, thematisch und musikalisch?
Antwort: Sinfonische Gebläsemusik mit Pauken und Trompeten, das war cool. Es ging um Reisen. Natürlich spielten sie zu diesem Motto auch den berühmten “Orient Express” von Sparke, bei dem man deutlich einen Dampfzug fahren hörte, und “In 80 Tagen um die Welt” von Schwarz, mit echten Elefanten, Dampfschiff und Turmuhr; mit der Deutschen Bahn würd’s länger dauern als lumpige 80 Tage. Diese Stücke haben meine Stromkreise auch schon früher in anderen Interpretationen zum Rumoren gebracht; ich altgedienter Kämpe kenne mich aus. – Aber es gab auch neue Aspekte der Reisemusik: Aus Südamerika, sehr rhythmisch, wurde “Espiritù” getrommelt und gespielt. Und das Jugendorchester schickte hitverdächtige Stücke auf meine Endstufe, unter anderem “Ayers Rock” von Hogestein aus Australien, das traditionelle – und monsterfreie – “Loch Lomond” aus Schottland und sogar Eindrücke einer Weltraumreise mit “A Day in Space” von Curnow. Charmante Moderationen gab es dazu von Yara Haug und von Mika Hertler, der übrigens ins Improtheater gehört. Ich hatte zu tun!
Frage: Wer dirigierte denn den reisefreudigen Musikverein?
Antwort: Beide Formationen dirigierte Claudia Krohmer-Rebmann. Die fordert mich und mein Team mit viel Abwechslung immer wieder technisch heraus. Mal lauter und mal leise, hoch, tief, mittel, kuschelweich oder bockelhart, zackig und lahm, solo und tutti und alles in Stereo. Puh. Ich bin nicht mehr der Jüngste, aber ich bring’s noch.
Ciao: Und Sie wollten es ja auch interessant haben, oder? Herr von Marschall, wir danken Ihnen für diese Einblicke in die Blackbox namens Hallenlautsprecher.